Uhr eines KZ-Häftlings nach 85 Jahren an Sohn retourniert
20.06.2025 PorträtsDavid Meissnitzer aus Admont verweigerte aus religiöser Überzeugung den Dienst mit der Waffe. Seine Uhr wurde dem Zeugen Jehova im Konzentrationslager abgenommen. 85 Jahre später findet sie ihren Weg zur Familie zurück. Die Uhr funktioniert noch ...
David Meissnitzer aus Admont verweigerte aus religiöser Überzeugung den Dienst mit der Waffe. Seine Uhr wurde dem Zeugen Jehova im Konzentrationslager abgenommen. 85 Jahre später findet sie ihren Weg zur Familie zurück. Die Uhr funktioniert noch immer.
David Meissnitzer verbrachte unter schrecklichen Bedingungen über fünf Jahre Haft in Konzentrationslagern. Die SS nahm Meissnitzer sein Hab und Gut ab und lagerte es in der Effektenkammer, wozu auch seine geliebte Taschenuhr gehörte. 85 Jahre später bekommt sein Sohn Hans Meissnitzer die Uhr zurück.
Der Weg zum Glauben
David Meissnitzer wird am 29. Dezember 1908 in der steirischen Gemeinde Stadl an der Mur als eines von sechs Kindern geboren. Dieser naturverbundene junge Mann war in der Land- und Forstwirtschaft als fleißiger Arbeiter bekannt. Mit 27 Jahren lässt er sich am 15. August als Zeuge Jehovas in Admont taufen. Seine neue religiöse Überzeugung sollte bald auf die Probe gestellt werden. Im April 1938 reiste Adolf Hitler durch Österreich und machte in Rottenmann einen Zwischenstopp. Arbeiter bildeten ein Begrü- ßungskomitee, erhoben ihre Hand zum Hitlergruß und riefen „Heil Hitler“. Meissnitzer nicht.
Kein Dienst mit der Waffe
Im Dezember 1939 bekam er den Einberufungsbefehl. Als er aus religiöser Überzeugung den Dienst mit der Waffe verweigerte, schlug ihm ein Offizier mehrmals brutal mit einem Schürhaken auf dem Kopf und schrie David an: „Sie müssen doch Ihr Vaterland verteidigen!“ Meissnitzer darauf: „Mein Vaterland ist die ganze Erde.“ Der Offizier kontert: „Und, was wäre denn, wenn alle so denken würden?“ „Dann bliebe der Krieg aus“, erwiderte Meissnitzer. Markiert mit dem Lila Winkel galt Meissnitzer ab sofort als Wehrdienstverweigerer. Der Lila Winkel war das Abzeichen für „Bibelforscher“, vor allem Zeugen Jehovas. Die Religionsgemeinschaft leistete dem NS-Regime geschlossen Widerstand und wurde deshalb besonders stark verfolgt.
Im Angesicht des Todes
Am 20. Dezember 1939 beginnt für David Meissnitzer ein jahrelanger Leidensweg. Er verbringt einige Wochen im Polizeigefängnis Graz, dann ging es über Mauthausen und Sachsenhausen in das neu errichtete Konzentrationslager Neuengamme (Nähe Hamburg). Von den dort 100.000 Inhaftierten finden 50.000 Menschen den Tod. Durch die brutale Behandlung der SS glaubte auch Meissnitzer, dass er Neuengamme nicht lebend verlassen würde. In seiner Not aß er Schnecken und Knochen, die bereits von Hunden abgenagt worden waren, oder fischte sich ölverschmiertes Brot aus dem Hafenwasser in Hamburg, als er dort mit dem Suchen von Bomben und dem Wegräumen von Leichen beschäftigt war.
Heimkehr
Am 30. April 1945 war Meissnitzer einer der Häftlinge, die Richtung Flensburg in die Freiheit marschierten. Am 18. Mai 1945 kam David in Flensburg ins Betreuungslager „Stormschule“, wo er bis zum 1. August 1945 blieb. Danach wurde er auf einen Bauernhof in Deutschland gebracht, wo er wieder zu Kräften kam. David Meissnitzer kehrte schließlich in seine Heimat zurück, heiratete seine Jugendliebe und erwarb 1959 in Admont ein Anwesen mit einer hölzernen Veranda, die bis 1974 als Versammlungsraum für die Gottesdienste der Zeugen Jehovas diente. Er starb mit 71 Jahren.
Eine funktionierende Taschenuhr
David Meissnitzer hinterlässt seinem Sohn Hans nicht nur ein geistiges Erbe, sondern auch eine Taschenuhr, von der er bis vor kurzem gar nichts wusste. 1940 im KZ Neuengamme abgenommen, in weiterer Folge im Arolsen Archiv verwahrt und schließlich im Mai 2025 an Sohn Hans Meissnitzer übermittelt. Arolsen ist das internationale Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von Arolsen meldete sich beim Verein Lila Winkel. Sie suchte nach der Bestätigung, dass David Meissnitzer Opfer des NS-Regimes war und ob der Verein Kontakt zu Angehörigen herstellen könnte.
Für Hans Meissnitzer beginnt damit eine neue Zeit der Aufarbeitung seiner Familiengeschichte: „Ich erhielt die Uhr per Post – feinsäuberlich verpackt – und war fasziniert, dass sie sogar noch funktioniert. Es ist für mich auch ein Anstoß mich intensiv mit der Geschichte meines Vaters zu beschäftigen.“